Training trotz Muskelkaters?

To train or not to train – so hätte es Shakespeare vermutlich ausgedrückt, wenn er Sportler und kein Poet gewesen wäre. Mit diesem diesem zugegebenermaßen eher unkreativen Missbrauch des berühmten Zitats möchte ich auf eine Frage zu sprechen kommen, die wohl jeden Trainierenden irgendwann einmal quält: Soll ich trainieren, obwohl ich Muskelkater habe? Im Internet wird dieses Problem meist eher vorsichtig behandelt. Man rät dazu, das Training ausfallen zu lassen, solange die Muskeln noch allzu stark schmerzen. Andernfalls könne es zu Problemen kommen, so zumindest die weitverbreitete Meinung. Ganz so einfach scheint es dann aber doch nicht zu sein.

Sport ausfallen lassen wegen Muskelkater?

Wenn es an jeder Ecke zieht, liegt die Vermutung natürlich nahe, dass der Körper überbelastet ist und deswegen eine Pause verdient hat. Da der Muskelkater durch Mikrorisse in den Muskelfasern verursacht wird, so zumindest der aktuelle Stand der Dinge, macht das scheinbar auch Sinn. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, mit gebrochenem Bein auf den Fußballplatz zu gehen. Richtig?

Sicher, für gebrochene Beine gilt das, aber bei unserer Muskulatur sieht es ein wenig anders aus. Wie in den letzten Jahren durchgeführte Studien ergeben haben, wird der Muskelkater nicht verschlimmert, wenn man trotz der Schmerzen trainiert. Negative Auswirkungen konnten selbst dann nicht festgestellt werden, wenn das gleiche Training durchgeführt wurde, das zuvor zum Muskelkater geführt hatte. Tatsächlich ist es sogar so, dass der Muskelkater durch Sport mit moderater Intensität bekämpft werden kann.

Vorteile des Trainings mit müden Muskeln

Was sich im deutschsprachigen Fitnessweb noch nicht herumgesprochen hat, wird von einigen englischsprachigen Kollegen längst als bewiesen angesehen – Muskelkater kann genutzt werden, um den Körper zur schnelleren Anpassung zu bringen. Sprich: Mehr Muskeln in weniger Zeit.

Die Idee dahinter ist, die Anpassungsversuche unseres Körpers zu torpedieren und so einen noch größeren Anpassungsdruck zu erzeugen. Direkt nachdem das erste Training seine Spuren hinterlassen hat, beginnt der Körper mit den Aufräumarbeiten. Nährstoffe werden in den Muskel transportiert und die Mikrorisse aufgefüllt. Schiebt man in dieser Situation ein weiteres Training nach, ist der Körper gezwungen, härter am Wiederaufbau zu arbeiten. Das besagt zumindest die Theorie. Konkrete wissenschaftliche Belege habe ich dafür nicht gefunden, wohl aber einige Berichte von fantastischen Erfolgen, die mit dieser Trainingsmethode erzielt wurden.

Ein Beispiel findet sich auf Ironmagazine.com:

This was one of the most extraordinary programs I ever put myself on, not only in terms of workload but results as well. It involved doing total body workouts twice a day, six days a week. This meant 12 total-body workouts per week, increasing the workload every week.

I used partial training, negative training, low reps and high reps. For the entire first week, I was EXTREMELY sore but I stuck with it and trained everything twice a day, no matter how sore I was.  After 3 weeks of this training, I backed off, still doing 12 training sessions per week but splitting the body in half I was still working my whole body every single day and doing partials and negatives.

During the back-off phase, my recovery processes were practically unstoppable! NOTHING I did could make me sore (and believe me, I tried!) and my strength and muscle mass shot way up. Conventional wisdom would believe I would be completely totaled at the end of a program like this, overtrained, small and weak. My results? In 6 weeks, I went from 208 lbs. in bodyweight to 228 lbs. I went from a 295 bench press for 1 rep to 350 lbs for 1 rep. I did a partial top range lockout squat with 1100 lbs for 150 reps (not a typo!)

Man darf allerdings nicht vergessen, dass solche Programme nur dann umgesetzt werden können, wenn die Rahmenbedingungen ideal sind. Ausreichend Schlaf, Stressfreiheit und eine akkurate Ernährung sind dabei ein Muss. Schon allein deshalb ist diese Variante für fast jeden von uns ungeeignet. Die Erkenntnis aber bleibt: Muskelkater stellt kein Hindernis für ein erneutes Training dar.

Jede Regel hat ihre Ausnahmen

Grundsätzlich spricht also nichts gegen ein Training trotz Muskelkater. Das heißt aber nicht, dass es immer gut und richtig sein muss, mit Schmerzen zu trainieren. Sind die Muskeln zu stark angegriffen, leidet oft die Technik, mit der Übungen ausgeführt werden. Wer sich aufgrund starker Schmerzen kaum noch bewegen kann, sollte auf Sport mit dem Expander verzichten und warten, bis der Muskelkater etwas abgeklungen ist. Es bringt nichts, um jeden Preis trainieren zu wollen und sich dafür eine Verletzungspause in Kauf zu nehmen.