Spezialisierung ist eine feine Sache. Das zeigt die Geschichte: Als unsere Vorfahren damit begannen, Äcker anzulegen und Kühe als Milch- und Fleischspender zu halten, legten sie den Grundstein für die heutige Zivilisation. Sonderlich effizient war die Arbeit damals aber noch nicht. Das änderte sich, vereinfacht gesagt, erst mit der Idee, eine Sache so lange zu tun, bis man sie beherrscht wie kein anderer. Zusammen mit ein paar lebenserleichternden Erfindungen hat diese Spezialisierung dafür gesorgt, dass wir heute keine Beeren mehr sammeln müssen, sondern allerlei wirres Zeug im Internet lesen können. Angesichts der beeindruckenden Erfolgsgeschichte der Spezialisierung könnte man deshalb meinen, dieses Prinzip müsste auch beim Sport funktionieren. Kurioserweise ist dem aber nicht so.
Die Angst vor Neuem
Trotzdem machen vor allem Bodybuilding-Neulinge den Fehler, sich nur auf das Stemmen von Gewichten zu konzentrieren. Als Ergänzung zum Pumpen wird allenfalls noch Joggen in Betracht gezogen – vor allem, um die Fettverbrennung anzukurbeln. Allerdings beäugt man die Idee, etwas anderes als Bankdrücken und Bizepscurls zu machen, sehr argwöhnisch. Man macht sich beispielsweise Sorgen, dass das halbstündige Lauftraining die Regeneration negativ beeinflussen könnte und so das eigentlich erhoffte Muskelwachstum verhindert. Manch einer mag sich dann sagen, dass nicht zu laufen vielleicht doch die bessere Alternative ist…
Nach allem, was ich in den letzten Jahren über Sport lernen durfte, scheint mir das heute nicht mehr der richtige Ansatz zu sein. Zugegebenermaßen habe ich es anfangs genauso gehalten. Viel gepumpt, wenig geschwitzt. Gebracht hat das sicherlich auch etwas, als es dann aber darum ging, mal wirkliche Leistung zu bringen, war die Puste buchstäblich weg. Es ist schon ziemlich ernüchternd, wenn man sich zwar beim Bankdrücken um 30 Kilo gesteigert hat, aber nach 500 Metern Joggen auf dem letzten Loch pfeift. Für mich war das der Punkt, an dem ich mich um die Erweiterung meines Programms gekümmert habe.
Kraftsport rückt in den Hintergrund
Erst kam regelmäßiges Laufen dazu, was irgendwann durch Bouldern und Kraft-Ausdauer-Einheiten ersetzt wurde. Mittlerweile ist es sogar so, dass Kraftsport im wöchentlichen Programm nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Die Spezialisierung hat sich quasi erledigt, das Aus für das Muskelwachstum ist damit allerdings nicht gekommen. Im Gegenteil: Seit Weihnachten habe ich vier Kilo zugelegt, ohne mich an die klassischen Trainingsmethoden für Masse zu halten. Interessanterweise ist gleichzeitig meine Ausdauer gestiegen. Ohne in den letzten zwei Jahren Laufen gewesen zu sein, habe ich letzte Woche einen 7-Kilometer-Waldlauf in steilem Gelände absolviert – quasi ohne Pause. Das tat zwar weh, war aber machbar. Vor ein paar Jahren wäre so etwas völlig undenkbar gewesen.
Mich hat das etwas überrascht, wenn man es aber genau betrachtet, macht es durchaus Sinn. Ich habe meinen Körper immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, die teils völlig unterschiedliche Fähigkeiten abverlangt haben. Beim Bouldern geht es um Beweglichkeit und Kraft, die Intervall-Einheiten bringen das Herz-Kreislauf-System auf Touren und stärken die Laktat-Toleranz und das mehr oder minder regelmäßige reine Krafttraining hat das Muskelwachstum befördert. Das macht mich jetzt auf keinem dieser Gebiete besonders gut, hat man Fitnesslevel aber deutlich stärker beeinflusst als das Gepumpe von früher.
Bei Profis gang und gäbe
Genau genommen ist das keine große Erkenntnis. Wer sich etwas umschaut, findet ähnliche Ansätze auch bei den Profis. Leistungssportler üben sich genauso in Diversität: Ueli Steck (der wahrscheinlich schnellste Speedkletterer) klettert nicht nur, Ronaldo kickt nicht jeden Tag den ganzen Tag und Schwarzenegger hat längst nicht nur auf der Hantelbank gelegen. Als Laie und Einsteiger sieht man das allerdings nicht unbedingt, was bei vielen dazu führt, dass man sich trotz bester Absichten mit sportlicher Monokultur selbst im Weg steht.